Risse, manchmal kaum fühlbar und schwer zu entdecken. Manchmal so groß und tiefgreifend, dass sie nicht zu übersehen sind. All diese Risse sind Ausdruck der Zeit, in der wir leben. Einer Zeit von Brüchen, der wir uns als Individuum wie auch als Gesellschaft gegenübersehen. Brüche von Lebensentwürfen, von gewohnten Sicherheiten, von Wertvorstellungen, von sozialen Beziehungen sowie Brüchen in der Arbeitswelt. Diese Brüche wirken auf die Gesellschaft, auf die Kunst und ebenfalls auf mich als Künstler ein.

Welche Folgen haben Brüche?

Im gesellschaftlichen Zusammenleben ist ein Zustand der Unruhe bemerkbar. Wir sind gezwungen, uns mit Brüchen emotional und rational auseinanderzusetzen, uns abzugrenzen, zu öffnen, uns neu zu positionieren. Wir erleben gravierende Veränderungen in unserer Lebenswelt, die durch die Digitalisierung, den Klimawandel, den Hyperkapitalismus sowie die Komplexität ästhetischer Vielfalten maßgeblich beeinflusst werden.

Wie gehen Menschen damit um und welche Rolle spielen individuelle Utopien?

Reagieren die einen mit Überforderung und Starre, begeben sich andere auf die Suche nach ihren individuellen Utopien. Wie alle Utopien kontextualisieren individuelle Utopien das Bedürfnis nach Veränderung in eine bestimmte Richtung. Sie sind Sinnbild einer Kritik an dem Bestehenden und geben uns Orientierung, um Wege aus dem momentanen Zustand zu finden. Dies geht oft mit Sehnsucht und Hoffnung, aber ebenso mit Frustration und Angst einher.

Warum sind Brüche wichtig?

Brüche bedeuten immer einen Verlust von Stabilität. Sie bringen etwas um uns und in uns aus dem Gleichgewicht. Das birgt Risiken, aber eröffnet ebenfalls Chancen. Brüche geben uns die Möglichkeit, Routinen zu überdenken, Dinge anders zu machen und den Status quo zu verbessern. Während übermäßige Stabilität gesellschaftliche und individuelle Entwicklung hemmt, wirken Brüche als Quelle für Neuheit.

Welchen Beitrag leistet die Kunst?

Vielleicht liegt einer der wichtigsten Beiträge der Kunst darin, es uns nicht zu bequem zu machen. Sie war seit jeher ein Spiegel der Gesellschaft und der Zeit, in der sie entstanden ist. Die Kunst wirft uns letztlich auf uns selbst zurück, spricht uns ästhetisch an und hinterfragt unser Denken und Handeln. Sie kann dabei inspirierend und erschütternd zugleich sein und hat das Potenzial, Brüche zu erzeugen und ebenso zu heilen. Dieser universelle Wert der Kunst zeigt sich nicht nur dem Künstler, sondern steht gleichsam dem Rezipienten der Kunst offen, wodurch sich eine Dialektik zwischen den Akteuren entspinnt.

Was bedeutet dies für mich als Künstler?

Für mich heißt es, sich mit hoher Sensibilität Brüchen anzunähern. Es gilt zu beobachten, zu erfühlen. Meine Arbeit als Konzeptkünstler ist zudem untrennbar mit dem Fragen und dem Infragestellen verbunden. Wie sollen Risse verheilen oder vernarben? Wie reagiere ich als Individuum, wie reagieren wir als Gesellschaft auf Brüche und deren Folgen? Und, nicht zuletzt, wie kann ich und will ich als Künstler gestaltend eingreifen? Bislang hatte ich Glück: Bei Brüchen in meinem Leben hatte ich immer das Gefühl, dass es weitergeht und bin meinem inneren Kompass gefolgt. Möglicherweise bleibt uns nur eins: Einer Zeit von Brüchen mit Lebendigkeit zu begegnen.

Veröffentlicht in: kulturnews, Jahrgang 31, Heft 325, November/Dezember 2021, S. 30-31.


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