Ich habe einige Zeit darüber nachgedacht, wie man eine künstlerische Arbeit überhaupt mit Worten kennzeichnend beschreiben kann. Was macht eigentlich ein Kunstwerk aus? Hierbei ist mir einmal der Ausdruck „Verdichtung“ über den Weg gelaufen. Diesen möchte ich gerne wie folgt interpretieren und einordnen. Ein Kunstwerk kann als etwas angesehen werden, in dem sich etwas verdichtet. Es fällt irgendwie auf und übt eine Anziehungskraft auf unsere Aufmerksamkeit aus. Der Kontext, in dem wir uns dabei bewegen, spielt oft eine wichtige Rolle. Darauf hat bereits John Berger in „Ways of Seeing“ im Jahr 1972 hingewiesen. Das künstlerisch Verdichtete muss jedoch nicht immer in Form eines physischen Kunstwerks in Erscheinung treten. Auch eine herausragende Idee kann als Verdichtung angesehen werden, in diesem Fall als die Verdichtung eines Denkprozesses. Auch eine Erfahrung, ein Gefühl, etwas, was uns bewegt, kann damit gekennzeichnet sein. Bei all diesen Beispielen ist es also immer dieses Verdichtende, was vom Üblichen differenziert und somit vom Rest unterscheidbar macht. Die Entscheidung, was und wie differenziert und als Kunstwerk wahrgenommen wird, ist letztendlich individuell kreiert und liegt im Auge des jeweiligen Betrachters bzw. der Betrachterin.

Kunst ist nicht ohne Kreativität denkbar, also die Fähigkeit, Neues zu schaffen. Etwas Neues zu kreieren, setzt wiederum einen Zustand der Aktivierung voraus. Einen Status, in dem wir unserer Potenzialität Raum zur Entfaltung geben können. Mir als Künstler erscheint das Kreativsein häufig ein schwer greifbarer, manchmal flüchtiger, aber auf eine Weise durchaus fühlbarer Prozess zu sein. Egal, ob ich vor einem leeren Blatt sitze und es um freie Kreativität geht, um neue Ideen oder einfache Skizzen aufs Papier zu bringen, oder ob ich über den geeigneten Weg der künstlerischen Umsetzung einer Ausstellung nachdenke und dabei meiner Kreativität eine Richtung gebe: Das Kreativsein hat immer einen impulshaften Charakter, der ausschließlich im Jetzt stattfindet. Die Eigenschaft des an den Moment gebundenen sowie der Zustand der Aktivierung als Voraussetzung für die Nutzung kreativer Potenziale, sind elementare Bestandteile des künstlerischen Arbeitens.

Künstlerisches Arbeiten kann als eine Art der „Kultivierung“ beschrieben werden – Kultivierung von Kreativität, sinnlicher Wahrnehmung, Intuition und Denken. Dabei ist anzumerken, dass mit Kultivierung kein zwanghaftes Streben nach Verbesserung gemeint ist. Vielmehr geht es in meinem Verständnis davon um ein Zulassen. Demnach ist Kultivierung aufzufassen als ein „Um-Sich-Kümmern“ der uns zur Verfügung stehenden Möglichkeiten. Kultivierung versteht sich als die Ermutigung, sich mit der eigenen Potenzialität zu befassen, diese zu pflegen und dieser Platz einzuräumen.

Wichtige Beiträge künstlerischer Arbeit liegen unter anderem in der Beschäftigung mit kreativen und denkerischen Beschränkungen, in der Verhinderung ihrer Manifestation sowie in ihrer Nicht-Akzeptanz. Das Interessante an der künstlerischen Arbeit ist, dass sich die Kultivierung von Kreativität, Denken und Wahrnehmen nicht nur auf den Künstler oder die Künstlerin im Schaffensprozess eines Kunstwerks beschränkt. Diese Kultivierung steht den Rezipierenden, den sich auf das Kunstwerk Einlassenden, ebenso offen. Begünstigt werden kann dies durch die Einbindung in den Erstellungsprozess oder die Einbeziehung direkt als Element des Kunstwerks. Daraus ergibt sich eine Transformation der Rezipierenden als Teil des künstlerischen Arbeitens.

Die Kunst hat also das Potenzial, die Grenzen des kreativen Prozesses und des Kreativseins zwischen den verschiedenen Akteuren verschwimmen zu lassen. Dies macht das Ziehen einer klaren Trennlinie zwischen Kunstschaffenden und Rezipierenden häufig ungleich schwerer. Darüber hinaus ist unser aller Existenz gekennzeichnet durch ein Netzwerk von Verbindungen und Beziehungen. Es gibt daher keinen Zweifel daran, dass ich als Künstler durch meine Umwelt beeinflusst werde und ich durch meine künstlerische Arbeit wiederum meine Umwelt beeinflusse.

Beobachtet man heutzutage einen Museums- oder Ausstellungsbesucher beim Betrachten bzw. Erfahren eines Kunstwerks, so ist dieser häufig von der Suche nach Stimmigkeit und Harmonie, aber ebenso von der Erkundung ästhetischer Spannungsfelder und Brüche geleitet.

Es sind diese sinnbildlichen Risse, denen die Betrachterin oder der Betrachter nachspüren und die oft kaum wahrnehmbar oder schwer zu entdecken sind. Manchmal aber sind diese Risse so groß und tiefgreifend, dass sie kaum zu übersehen sind. Viele von ihnen sind ein Ausdruck der Zeit, in der wir leben. Einer Zeit von Brüchen. Brüchen in unseren Lebenswelten, der wir uns als Individuum wie auch als Gesellschaft gegenübersehen. Es sind Brüche von Lebensentwürfen, von gewohnten Sicherheiten, von Wertvorstellungen, von sozialen Beziehungen sowie von gemeinsamen Realitäten. Diese Brüche wirken auf die Gesellschaft, auf die Kunst und ebenfalls auf mich als Künstler ein.

Im gesellschaftlichen Zusammenleben ist förmlich ein Zustand der Unruhe bemerkbar. Wir sind gezwungen, uns mit Brüchen emotional und rational auseinanderzusetzen, uns abzugrenzen, zu öffnen, uns neu zu positionieren. Wir erleben tiefgreifende Veränderungen in unseren Lebenswelten und eine zunehmende gesellschaftliche Polarisierung, die durch die Digitalisierung, den Klimawandel, das Erstarken von Autokratien sowie den Hyperkapitalismus maßgeblich beeinflusst werden.

Reagieren die einen mit Überforderung und Erstarrung, begeben sich andere auf die Suche nach Exit-Strategien und ihren individuellen Utopien. Wie alle Utopien kontextualisieren individuelle Utopien das Bedürfnis nach Veränderung in eine bestimmte Richtung. Sie sind Sinnbild einer Kritik an dem Bestehenden und geben uns Orientierung, um Wege aus dem momentanen Zustand zu finden. Dies geht oft mit Sehnsucht und Hoffnung, aber ebenso mit Frustration und Angst einher.

Brüche bedeuten immer einen Verlust von Stabilität. Sie bringen etwas um uns und in uns aus dem Gleichgewicht. Das birgt Risiken, eröffnet aber ebenfalls Chancen. Brüche geben uns die Möglichkeit, Routinen zu überdenken, Dinge anders zu machen und den Status quo zu verbessern. Während übermäßige Stabilität gesellschaftliche und individuelle Entwicklung hemmt, können Brüche als Quelle für Neuheit wirken. Entscheidend ist hierbei, wie wir Veränderung gestalten wollen.

Ein weiterer wichtiger Beitrag der Kunst in diesem Zusammenhang besteht darin, es uns nicht zu bequem zu machen. Die Kunst war seit jeher ein Spiegel der Gesellschaft und der Zeit, in der sie entstanden ist. Sie wirft uns letztlich auf uns selbst zurück, sie spricht uns ästhetisch an und hinterfragt unser Denken und Handeln. Sie kann dabei inspirierend und erschütternd zugleich sein und hat das Potenzial, Brüche zu erzeugen, aber ebenso zu heilen. Diese universelle Eigenschaft der Kunst zeigt sich nicht nur dem Künstler oder der Künstlerin, sondern steht wiederum den Rezipierenden der Kunst offen, wodurch sich ein Dialog zwischen den Akteuren entspinnen kann.

Für mich heißt es, sich mit hoher Sensibilität Brüchen anzunähern. Es gilt zu beobachten, zu erfühlen. Meine Arbeit als Konzeptkünstler ist zudem untrennbar mit dem Fragen und dem Infragestellen verbunden. Wie sollen Risse heilen oder vernarben? Wie reagiere ich als Individuum, wie reagieren wir als Gesellschaft auf Brüche und deren Folgen? Und, nicht zuletzt, kann ich und will ich als Künstler gestaltend eingreifen? Bislang hatte ich Glück: Bei Brüchen in meinem Leben hatte ich immer das Gefühl, dass es weitergeht und bin meinem inneren Kompass gefolgt. Möglicherweise bleibt uns als Mensch nur eines: Einer Zeit von Brüchen und Erkundung von Neuem mit Lebendigkeit zu begegnen.

Brüche und Neuheit gab es in der Kunst schon immer. Sei es die Entwicklung provokanter künstlerischer Ideen, wie z. B. vom rein Gegenständlichen zum Abstrakten mit Protagonisten wie Hilma af Klint oder Wassily Kandinsky. Oder sei es durch technische Experimentierfreudigkeit und neuartige Materialien, wie beispielsweise die Verwendung von Ölen als Bindemittel bei Malfarben. Ein Verfahren, das in Europa vom flämischen Maler Jan van Eyck maßgeblich geprägt wurde.

Darüber hinaus gingen künstlerische Entwicklungen häufig Hand in Hand mit gesellschaftlichen Umbrüchen oder Innovationen und haben sich gegenseitig beeinflusst. Zu nennen sind beispielhaft die Neue Sachlichkeit zu Beginn des 20. Jahrhunderts, die von den Folgen des 1. Weltkrieges und der Hochindustrialisierung beeinflusst wurde. Oder etwa die Space Art, die sich im Zuge des Interesses des Menschen an der Erkundung des Weltraums entwickelte.

Es kann daher wenig verwundern, dass dies im Bereich der Computer- und Informationstechnologie ebenfalls der Fall ist. Anfangs häufig noch als Computerkunst bezeichnet, ist der Begriff Digitale Kunst, auf Englisch Digital Art, heute eher geläufig. Er beschreibt vereinfacht gesagt jede Kunst, die mit computer- oder informationstechnologischen Medien erzeugt wurde. Nahm der Maler oder die Malerin früher den Pinsel in die Hand und saß vor der Leinwand, sind es heute bei vielen Künstlern Zeichen-Pens und Grafiktabletts.

Den Begriff der KI-Kunst kann man ebenfalls der Digitalen Kunst zuordnen. KI, also Künstliche Intelligenz, oder auf Englisch „AI“ für Artificial Intelligence, drängt über die klassischen Verarbeitungsprozesse von Rechnern hinaus. Obwohl KI vielfältig definiert werden kann und bei der Spanne ihrer Leistungsfähigkeit häufig von schwacher und starker KI unterschieden wird, fällt doch jeweils die Orientierung an den Fähigkeiten des Menschen auf. Nicht zuletzt werden Begriffe wie Lernen, Denken und auch Kreativität in diesem Zusammenhang immer wieder genannt. Insbesondere mit Bezug auf die Fähigkeit zur Kreativität wird häufig von Generativer, also „erzeugender“, KI gesprochen.

Die KI-Kunst könnte man in zwei Bereiche unterteilen. Zum einen der Bereich, in dem KI dem menschlichen Künstler als Tool oder Kooperationspartner dient. Dies kann in der Ausprägung zwischen eher weniger oder mehr Unterstützung bzw. Kooperation durch KI variieren. Zum anderen Bereich gehören all jene Ansätze, in denen die KI zum selbst bestimmenden künstlerischen Protagonisten aufsteigt, die KI also zum Künstler mit eigener Intention wird. Inwiefern dies bestehenden KI-Modellen in gewissem Maße bereits zugeschrieben werden kann oder ob KI jemals eigens schöpferisch tätig werden könnte, wird von Künstlern wie Experten kontrovers diskutiert.

Einer der Ersten, der sich intensiver mit Künstlicher Intelligenz und Kunst befasst hat, war der britische Maler und Informatiker Harold Cohen. Bereits in den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts begann er, mit Roboter- und Computertechnologie zu experimentieren und schrieb das Programm AARON. Dieses, auf von Cohen zuvor festgelegten Regeln beruhende Programm war in der Lage, Zeichnungen zu erstellen, bei denen selbst Cohen vorab nicht genau wusste, wie die Bilder aussehen würden. Weitere technische Entwicklungen wie Neuronale Netzwerke, Maschinelles Lernen und Deep Learning sowie verbesserte Algorithmen haben seitdem die KI immer leistungsfähiger werden lassen. In der jüngeren Vergangenheit stießen insbesondere auf KI-basierende Text-zu-Bild Generatoren wie Midjourney, DALL-E oder Stable Diffusion auf breiteres Interesse bei bildenden Künstlern. Noch kann man bei KI-Bildern häufig erkennen, dass irgendetwas entweder zu perfekt oder imperfekt ist. Aber die generierten Bildergebnisse werden immer realer, so dass es mit bloßem Auge kaum möglich erscheint, einen Unterschied zu realen Bildern festzustellen. Was ist, wenn KI zunehmend die uns umgebenden Bilderwelten bestimmt und damit unsere Wirklichkeit mit definiert?

Im Mittelalter haben die Bilderwelten der Christlichen Kunst in Europa die Religiosität der Menschen verstärkt und einen deutlichen Einfluss auf ihre realen Leben gehabt. Im Grunde genommen hat sich der bedeutende Einfluss von Bildern auf unser Denken, Fühlen und Handeln in unserer heutigen, durch vielerlei Medien geprägten Welt kaum verändert. Letztendlich ist es eine Frage, wie wir unsere Realität kreieren. Mich beschäftigt unter anderem die Vorstellung, wie sich eine durch KI geprägte Lebenswelt auf uns Menschen auswirken wird. Beispielsweise sind Deepfakes, also Medieninhalte, die durch KI mit dem Ziel der Manipulation verändert oder erzeugt wurden, bereits heute weit verbreitet. Wenn wir Menschen immer leichter getäuscht werden können, was die Wirklichkeit angeht, wird es Auswirkungen auf unsere Bereitschaft zu Vertrauen haben. Vertrauen ist jedoch eine der wichtigsten Säulen unseres menschlichen Zusammenlebens als sinnlich-denkende-soziale Lebewesen.

In Bezug auf die Kunst ergeben sich weitere Fragestellungen und die Diskussionen innerhalb der Künstlerbewegung changieren zwischen Faszination und Ambivalenz. Welchen Wert kann Kunst noch haben, wenn sie durch KI so einfach erzeugt werden kann? Ist KI-basierte Kunst überhaupt Kunst? Viele KI-Modelle werden mit den Daten von Kunstwerken menschlicher Künstler aufgebaut und trainiert. Dies wirft nicht zuletzt auch Fragen hinsichtlich des eigentlichen Urhebers auf.

Ich sehe den Künstler in seiner Funktion als eine Art Vehikel an. Ein Vehikel, das den Prinzipien der Kunst Raum und Form gibt. Vielleicht wäre die eigens schöpferisch tätige KI einfach ein neues Vehikel für die Kunst, das möglicherweise andere oder sogar umfangreichere Fähigkeiten haben könnte, als das menschliche Vehikel. Wer würde dann die vermeintlich besseren Kunstwerke hervorbringen, der Mensch oder die KI? Eine weitere Kränkung der Menschheit scheint sich am Horizont bereits abzuzeichnen.

Für die Gesellschaft stellt KI eine große Transformation dar, die zahlreiche Umbrüche mit sich bringen wird. Wir müssen uns als Gesellschaft und als Individuum damit auseinandersetzen und Entscheidungen treffen. Aufgrund der Komplexität kann es jedoch leicht geschehen, dass sich ein Gefühl der Überforderung breit macht. Deshalb ist ein kritisches Denken gefragt, dass neben der Ratio, auch sinnlichen Aspekten einen Platz einräumt. Mir scheint, dass wir uns gesellschaftlich mit den Voraussetzungen für ein solches, umfassendes „ästhetisches Denken“ in den vergangenen Jahren viel zu wenig auseinandergesetzt und gekümmert haben. Die Kunst und wir als Künstler können hierbei Impulse und Anregungen geben und einen Beitrag leisten, um ein ästhetisches Denken zu fördern. Damit gesellschaftliche Transformation durch Innovationen wie KI differenziert eingeordnet, aber manchmal ebenso spielerisch betrachtet werden kann.

Der Mensch wird sich damit auseinandersetzen müssen, dass Künstliche Intelligenz die Kunst und unser Leben bereits jetzt beeinflusst und ein Teil unserer Kultur und unseres kulturellen Erbes geworden ist. Vielleicht sind wir auch gerade dabei, etwas zu erschaffen, von dem wir eines Tages erkennen werden, dass es seine eigene Kultur entwickelt hat – neben unserer menschlichen Kultur.

Bei diesen Gedanken frage ich mich manchmal: Sind Neuheit und all die Entwicklungen eigentlich schon irgendwie da in dem uns umgebenden Universum? Kratzen wir vielleicht nur etwas weg, um es dann erst zum Vorschein zu bringen? Ähnlich einem Bildhauer, der über Wochen hinweg aus einem Marmorblock langsam eine Skulptur herausarbeitet? Auf alle Fälle verlangt dies Wissen, Feingefühl und Intuition. Unserer Fantasie und unserer Verantwortung sei es überlassen, welche Rolle der KI in Zukunft zugeordnet und wie unsere Beziehung zur KI ausgestaltet sein wird.

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